Die Hexe von Benz


In dem Dorfe Benz lebte einmal ein altes Weiblein, das im Verdacht stand, eine Hexe zu sein. Für jegliches Unglück in der Gegend machte man sie verantwortlich und die Leute trugen Kreuzdorn eingenäht, um sich gegen sie - begegnete man ihr einmal auf der Dorfstraße - zu schützen.

Nun hatte der Schwager der Alten eine Kuh, welche gerade gekalbt hatte, aber keinen Tropfen Milch gab. Der Knecht des Bauern, der ein Trinker war, ansonsten aber die Aufmerksamkeit der Leute bei Gelegenheit gern auf sich zog, bot sich an, dem Übel abzuhelfen. Er wüßte da ein probates Mittel. So ging er in die Stadt und kaufte in der Apotheke Düwelsdreck, Düwelsabbitwörpel, Witten Urand, Allermannsharnischwörpel und swarten Koem in den benötigten kleinen Mengen. Das waren lauter Pulver, Kräuterwürfel und Essenzen, über deren geheimnisvolle Wirkung sich niemand anders ein Bild machen konnte, als nur eben er.

Zu Hause angekommen, zerrieb er mit einem Lindholzmörser sämtliches zu einer Mixtur und begab sich mit selbiger zum Bauern in den Stall. Dort gebot er dem Bauern, dem Weiblein, welches ja die Schwägerin desselben war und sicher bald lommen würde, unter keinen Umständen irgend etwas zu borgen, egal worum es auch bat. Desweiteren wies er den Bauern an, er solle die Kuh solange melken, bis er drei Tropfen Milch erhielte. Der Bauer begann dann auch sogleich mit dem Melken und hatte Erfolg. Inzwischen bohrte der Knecht ein Loch in die Schwelle, goß die drei Tropfen Milch hinein und fügte dann mit geheimnisvoller Handlung sein hergestelltes Präparat hinzu. Darauf schnitt er einen passenden Stöpsel für das Loch zurecht und klopfte mit dem Hammer den Kork in das Loch hinein.

Kaum aber hatte er den ersten Schlag getan, da kam tatsächlich das Weiblein um die Hausecke gealufen und bat den Bauern um eine Heugabel. - "Nein!" lehnte er ab. Da wunderte sich das Weiblein offenbar, denn der Schwager, so schien es zu bedenken, war bislang immer ein guter und hilfsbereiter Nachbar gewesen. Neugierig ob der Veränderung schaute es am Bauern vorbei in die Küche hinein und entdeckte einen Krug Bier, der dort auf dem Tische stand. Und weil sie Durst verspürte, bat die Alte den Bauern um einen Schluck aus der Kanne. _"Nein!" entgegnete der Bauer jedoch abermals. Da schlüpfte das Weiblein behend unterm Arm des Bauern hindurch über die Schwelle zur Küche hinein. Dort ergriff es den Humpen und trank ein paar Züge.

Als der Knecht das sah, erklärte er dem Beuern, nun sei seine Kunst entkräftet. Selbiges erklärte er dann auch abends in der Schänke seinen Freunden und Bewunderern. Und er gab die Schuld dafür, daß das teuflische Weib weiterhin im Dorf sein Unwesen würde treiben können, allein dem tölpelhaften Bauern, welcher es nicht verstanden hatte, sich an das Regelwerk einer Hexenaustreibung zu halten.

(aus "Der Kirschbaum auf der Düne" von Kurt Biesalski, 1.Auflage 1990, Wismar)


Das Ungeheuer vom Kuhldieck


Bei Goldebee sollte einmal eine Hexe verbrannt werden; doch dazu ist es nicht gekommen, weil sie auf unerklärliche Weise vom brennenden Scheiterhaufen verschwand. Noch viele Jahre hat man über die merkwürdigen Umstände gerätselt, unter denen die Hexe damals entkommen ist. Dabei wurden ein Mann und eine Frau der Spökenkiekerei bezichtigt und nahe an den Rand eines Meineids mit allen zu befürchtenden Folgen gebracht, als sie sich unmittelbar nach dem Ereignis als Augenzeige meldeten, weil sie Unheimliches gesehen haben wollten.

Doch des Rätsels Lösung hat man nicht gefunden, bis heute nicht; zuviel Schleierhaftes war im Spiele. Allein in einem einzigen Punkte scheint man sich später einig geworden zu sein: Mag es anfangs auch Stimmen gegeben haben, die bezweifelten, ob es sich bei der alten Frau tatsächlich um eine Hexe gehandelt hat - sie ist wohl eine gewesen. Ihr Verschwinden nämlich ist nicht anders als nur durch ein besonders meisterliches Stück von Hexerei zu erklären, anders nicht.

Der Vorgang selbst hat sich auf folgende Weise zugetragen: Man band also die Hexe an einen Pfahl und schichtete, ganz wie man es damals vom vielen Hörensagen von ringsum aus dem Lande kannte, einen Scheiterhaufen zu ihren Füßen auf. Das Reisig war prasseldürr, man hatte es eigens zu diesem Zwecke vorgetrocknet. Zum gegebenen Zeitpunkt versammelte sich dann so ziemlich alles, was Beine hatte in Goldebee, denn man wollte sich das einzigartige Schauspiel einer Hexenverbrennung nicht entgehen lassen, zumal es im eigenen Dorfe stattfand und als ein Akt von ziviler Ordnungscourage seiner Bürger sicher in die Geschichte eingehen würde.

Hinter den Zuschauern handelte man indessen mit Gebratenem und Gebackenem, mit Eiern, Salzgurken und Bier; und vor allem mit handfesten Kienholzfackeln, die man dann brennend auf das vermaledeite Weib würde werfen dürfen. Das Wetter soll, wie in den Akten verzeichnet ist, schön gewesen sein - insgesamt ein Sommertag, so recht für das Vorhaben geeignet. Doch als sich der erste zum Reisig begab und es entzündete, erhob sich, so wird berichtet, vom nahegelegenen Kuhldiek her ein Wind, der feinen Regen herüberwehte und das Feuer sogleich wieder auslöschte. Man versuchte es noch einmal und dann immer wieder, man gruppierte die Zuschauer vor den Wind - da ging der Luftstrom im Bogen über die Leute hinweg und trieb den Regen auf das Reisig.

Während nun die Leute fasziniert auf die verwirrten Feueranzünder am Reisighaufen schauten, gescah es, daß zwei von ihnen, jener Mann und eine Frau nämlich, sich zufällig einmal zum Kuhldiek umwandten. Da gewahrten sie eine schreckliche Gestalt im Teich, die bis zur Brust aus dem Wasser ragte. Halb Mensch, halb Tier, soll sie, wie später beide zu Protokoll geben, am ganzen Körper lang behaart, aber naß vom Wasser gewesen sein; und aus ihrem Munde soll sich ein kräftiger Wasserstrahl erhoben haben, der über die Leute hinweg als Regen zum Scheiterhaufen ging. Zuletzt aber wäre die Gestlat aus dem Teich herausgefahren und über die Leute hinweg zum Marterpfahl gefegt, wo sie die Hexe gepackt hätte und mit ihr den Weg durch die luft zurück zum Kuhldiek gefahren wäre.

Dort wäre sie dann mit samt der Hexe im Wasser verschwunden. Niemand anders aber als nur jener Mann und die Frau hatten die Erscheinung mit eigenen Augen gesehen. Zwar schrie alles Volk dann wie aus einem Munde auf - das aber allein deshalb, weil die Alte so unversehens vom Pfahl verschwunden war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Niemand hat die Alte je wieder gesehen, bis heute nicht. Man verhörte damals beide Zeugen mit peinlicher Genauigkeit und schenkte ihnen geteilten Glauben; man stocherte den Teich vorsichtig mit Stangen durch, doch fand man nichts. So ist der Kuhldiek von Goldebee zu seinem zweifelhaften Ruf gekommen, nicht ganz geheuer zu sein.

Später hat man ihn natürlich auf vielfältige Weise untersucht - und immer mit dem nötigen Ernst : Jungen mit langen Stangen von Flößen aus, Angler mit Wurfruten und scharfen Haken am Garn und einige Male sogar die Feuerwehr mit ihrer Gerätschaft. Doch sooft man unten auf etwas Rätselhaftes stieß, stellte es sich am Ende immer als belangloses Zeugs heraus. Entweder es war eine alte Sprungfedermatratze, oder ein verrosteter Eimer kam zum Vorschein oder eine Gasmaskenbüchse aus dem zweiten Weltkrieg. So ist das Geheimnis um das Kuhldiek-Ungeheuer von Goldebee bis heute noch ungelöst - und das wird es wohl auch bleiben.

(aus "Der Kirschbaum auf der Düne" von Kurt Biesalski, 1.Auflage 1990, Wismar)


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